Denkt man an sensationelle Werbung, an ultimativ-originelle Kampagnen und kreative Stunts, drängt sich einem die Pharma-Landschaft nicht gerade auf. Man muss kein Ketzer sein, wenn man behauptet, dass das Cannes Werbefestival in dieser Hinsicht mehr hergibt als die Kreativ-Wettbewerbe der Healthcare-Branche.
Aber zur Klarstellung: Herausragende Kampagnen und Storytelling auf höchstem Niveau gibt es auch im Healthcare-Marketing. Originelle Slogans, unterhaltsame TV-Spots und brillante wie inspirierende Social-Media-Maßnahmen zieren auch die „weiße“ Werbewelt. Auf der anderen Seite ist auch nicht jede Consumer-Kampagne Cannes verdächtig – bestenfalls kreatives Mittelmaß ist auch in diesem Sektor in weiten Teilen die Regel.
Eine weitverbreitete Meinung ist aber auch, dass man im Healthcare-Bereich schon für kreatives Mittelmaß gefeiert und ausgezeichnet wird, während im Consumer-Bereich Mittelmaß vor allem eins ist: Mittelmaß.
Was ist dran an dieser Einschätzung?
Wenn man es sich einfach machen möchte, könnte man sagen, dass die Standards schlicht und ergreifend jeweils andere sind. Dass also die kreativen Maßstäbe in der einen Branche höher sind als in der anderen. Diese plastische Aussage würde allerdings in keiner Weise dem Arbeitsethos der Kreativen im Gesundheitswesen gerecht werden. Auch hier rauchen die Köpfe auf der Suche nach der besten Idee, dem stärksten Bild, dem treffendsten Wording, der packendsten Story. Auch hier dreht man Runde um Runde, um die Ansprüche an kreative Exzellenz zu erfüllen.
Der kreative Spielraum ist ein anderer
Natürlich gibt es auf dem Feld der Healthcare-Werbung Themen und Produkte, die ausreichend Spielraum für kreative Potenzialentfaltung bieten und wo man sich als Kreativer mal austoben kann. Die Verwender von Erkältungspräparaten können durchaus eine lockere, unterhaltsame Ansprache verkraften, ohne sich mit ihren Beschwerden nicht ernstgenommen zu fühlen. Aber auch im Selbstmedikationsmarkt geht es vielfach um unpopuläre Indikationen, wo man sensibler kommunizieren muss. Für den ethischen Markt der verschreibungspflichtigen Produkte gilt das ohnehin. Die Indikationen und ethischen Richtlinien bestimmen also über den kreativen Spielraum – und da wird es oft eng. Geiz mag vielleicht geil sein, aber Krebs ist es definitiv nicht.
Bei Healthcare gelten andere Regeln
Wenn wir hier über kreativen Freiraum im Sinne von textlichem oder visuellem Ausdruck sprechen, kommen wir auch um das Thema Wirkversprechen nicht herum. Da in der Healthcare-Kommunikation unter keinen Umständen eine Heilung oder auch nur eine Verbesserung versprochen werden darf, sind vollmundige Äußerungen und übertrieben positive Darstellungen klare Nogos. Jede Aussage wird aus medizinisch-juristischer Sicht akribisch auf ihre Richtigkeit geprüft.
Neben kreativen Anforderungen steht man in der Gesundheitskommunikation also auch immer regulatorischen Anforderungen gegenüber. Die strenge Beachtung von Vorschriften und ethischen Standards gehört genauso dazu wie das Berücksichtigen kreativer und gestalterischer Gesetzmäßigkeiten. Kreative Teams in Healthcare-Agenturen müssen sich also nicht nur originelle Ideen einfallen lassen, sondern immer auch einen Balanceakt zwischen Kreativität und Compliance vollziehen und sicherstellen, dass ihre Kampagnen mit den geltenden Gesetzen konform sind.
Das wiederum bringt einen wichtigen kreativen Grundsatz ins Wanken: Nämlich jenen, der besagt, dass es in der Kreativität kein Richtig oder Falsch gibt – wie etwa in der Mathematik oder Physik – sondern nur gefällt oder gefällt nicht. In der kreativen Healthcare-Werbung entscheiden Regularien und Instanzen dagegen sehr wohl über richtig und falsch. Was dazu führt, dass hier Präzision vor Prägnanz kommt. In der Consumer-Werbung ist das meistens umgekehrt. Zieht man vor diesem Hintergrund nochmal den Vergleich zwischen Consumer- und Healthcare-Werbung, sieht man schnell, dass den beiden Branchen jeweils an anderes Regelwerk zugrunde liegt, was natürlich Einfluss auf den kreativen Output hat.
Übers Verkaufen und Versorgen
Werbung soll verkaufen. Der grundsätzliche Arbeitsauftrag von Consumer- und Gesundheitsmarketing ist also erstmal der gleiche. Doch während die einen vorwiegend auf Spaß, Unterhaltung und Begeisterung setzen, um Menschen zu bewegen und Kaufmotive zu implementieren, sind die anderen öfter dazu angehalten, feinere Töne anzuschlagen und auf etwas sachlichere Art zu emotionalisieren und zu überzeugen.
Ferner geht es im innovativen Healthcare-Marketing längst nicht mehr nur um die lautstarke Vermarktung eines Präparates. Moderne Healthcare-Kampagnen haben unter anderem den Auftrag, die Akteure im Gesundheitswesen bei ihren Dienstleistungen und Behandlungen zu unterstützen. Sie können dabei helfen, das Versorgungsmanagement zu optimieren, und festigen die Bindung zwischen Unternehmen und Patienten, die zunehmend informierter und mündiger werden und immer mehr in ihre Gesundheitsentscheidungen miteinbezogen werden möchten. Die Aufgaben der Healthcare-Werbung gehen weit über gestalterische Plakativität hinaus.
Deshalb sind die besten Healthcare-Kampagnen nicht nur kreativ und originell, sondern immer auch ethisch, informativ und patientenzentriert.